BernhardJ schrieb:
Das sieht der BGH bereits anders. Eine beliebige Abweichung ist nicht zulässig. Das würde ja auch alle möglichen Vorschriften und Gesetze ad Absurdum führen.
Bei der Grenzwertüberschreitung braucht man rechtliche Vorgaben, konkret Gesetze, in denen der Grenzwert geregelt ist und Prüfbedingungen exakt definiert sind. Diese Voraussetzung ist bei Euro5 aber nur für den Prüfstand erfüllt. Fehlt es damit mangels Grenzwerten und Prüfverfahren an einer rechtlichen Grundlage zur Ermittlung von Grenzwertüberschreitungen, ist es der Rechtsprechung nicht erlaubt, diese Lücke durch irgendwelche fiktiven Werte und Messverfahren auszufüllen, weil es sich nicht um eine echte, unbeabsichtigte Gesetzeslücke handelt. Hier ist allein der Gesetzgeber gefordert, Änderungen vorzunehmen, was er ja auch getan hat. Daher werden auch keine Gesetze ad Absurdum geführt, weil es eben bisher keine Gesetze gab, die eine Einhaltung von Schadstoffgrenzwerten auf der Straße vorsahen.
Davon zu trennen ist die Wirksamkeit einer Vorrichtung zur Schadstoffreduzierung auch außerhalb des Prüfstands. Das Abschaltverbot stellt klar, dass eine Wirksamkeit auch auf der Straße gegeben sein muss, wobei es letztlich egal ist, ob etwas abgeschaltet wird und dadurch die Wirksamkeit entfällt oder die Vorrichtung schon von ihrer Konstruktion her nicht geeignet ist, auch im realen Betrieb den verfolgten Zweck zu erfüllen. Hier und nur hier ist der rechtliche Ansatz, einen Gesetzesverstoß zu begründen, was zwar im Ergebnis auf das gleiche hinausläuft, wie die Annahme, dass die Prüfstandsgrenzwerte auf der Straße nicht in unverhältnismäßig hohem Maße überschritten werden dürfen, dennoch aber ein rechtlich ganz anderer Ansatz ist, der nicht an der Überschreitung von Grenzwerten festmacht, sondern an der Wirksamkeit der Einrichtung, für die eine deutliche Überschreitung der Grenzwerte nur ein Indiz ist. Man muss im Einzelfall prüfen, ob der Schadstoffausstoß auf der Straße deshalb so hoch ist, weil das Fahrprofil stark vom Prüfstandsprofil abweicht, oder weil die Vorrichtung, hier konkret die AGR, aus anderen Gründen auf der Straße nicht funktioniert. Das ist bei AGR m.E. der Fall, weil ihre stickoxidmindernde Wirkung u.a. abhängig von der Abgastemperatur ist.
Eine Prüfung, was der Grund für die hohen Schadstoffwerte, hier konkret der Stickoxide auf der Straße ist, ist aber ganz entscheidend für die Beurteilung zivilrechtlicher Schadensersatzansprüche gegen den Fahrzeughersteller. Der Verbau einer ungeeigneten Einrichtung (hier AGR), die dann in Kenntnis ihrer nur noch sehr eingeschränkten Wirkung im praktischen Betrieb auch noch genehmigt wurde, kann niemals ein sittenwidriges Verhalten begründen. Das ist allenfalls denkbar, wenn Abschalteinrichtungen mit dem Ziel eingesetzt wurden, die Einhaltung gesetzlicher Bestimmungen zu ermöglichen, die man sonst nicht einhalten könnte und dieser Umstand kausal für die hohen Schadstoffwerte ist. Ich habe leider bisher keine Entscheidung gelesen, in der diese Prüfung vorgenommen wurde, ebensowenig, wie sich deutsche Gerichte bisher mit der jetzt von einem französischen Gericht an den EuGH vorgelegten Frage befasst haben, ob rein innermotorische Maßnahmen überhaupt unter das Abgaskontrollsystem fallen. Im Prinzip kann man die gesamte deutsche Zivilrechtsprechung zum Abgasskandal "in die Tonne kloppen", weil die entscheidenden Fragen unbeantwortet bleiben bzw. überhaupt keiner rechtlichen Prüfung unterworfen wurden.
Andreas